Interview mit Wigger Bierma & Walter Nikkels

Herr Bierma, wie sind Sie zur Typografie gekommen?

Mein Interesse für Typografie wurde dadurch geweckt, dass ich auf einen Lehrer gestoßen bin, der mich wahnsinnig inspiriert hat, und der machte nun einmal Bücher. Da habe ich mir gedacht, dann mache ich das auch mal. Mir gefiel seine Haltung; eine innere Grundeinstellung, bei der es um eine gewisse Art von Ehrlichkeit ging. Er war absolut kein Werber. Ich kam immer zu spät in seinen Unterricht und hatte daher immer eine Fünf. Formal war ich durchgefallen, das spielte aber keine Rolle. Wir haben uns immer toll miteinander über Typografie unterhalten. Es hat immer etwas damit zu tun, wem man begegnet. Von den Menschen, die man gerne mag, lernt man am leichtesten. Affinität ist grundsätzlich sehr wichtig. Man muss die Leute mögen, für die man arbeitet.

Wie verhielt es sich bei Ihnen, Herr Nikkels?

Ich habe Bildende Kunst in München, Mailand und Rotterdam studiert. Bald aber merkte ich, dass die freie Kunst nicht so mein Ding war. Dann arbeitete ich in einem Verlag und habe gemerkt, dass mir Typografie sehr viel Spaß macht. Während meiner Zeit als Professor in Düsseldorf, einer Akademie für freie Kunst, habe ich gemerkt, dass zwar der Dialog, die Auseinandersetzung von Typografie und freier Kunst sehr interessant ist. Dennoch sollte Typografie, meiner Meinung nach, immer angewandt sein und einem bestimmten Zweck dienen. Das sind zwei sehr unterschiedliche Positionen. Insofern bin ich kein Künstler.

Wie haben Sie Wigger Bierma kennengelernt?

Wigger interviewte mich damals im Rahmen einer Initiative seiner Hochschule in Arnheim. Er kam in meine damalige Wohnung in Rotterdam, und wir führten ein langes Gespräch. Zum Interview erschien auch ein kleines Heft, das Wigger gestaltet hatte. Aus diesem Treffen heraus entwickelte sich unsere seither bestehende Freundschaft.

Herr Bierma, was schätzen Sie besonders an Walter Nikkels, als Gestalter und als Freund?

In meiner Schulzeit bin ich mit dem Konflikt zwischen Modernisten und Klassizisten konfrontiert worden. Als ich Walter das erste Mal sah, erkannte ich, dass es ihm um die Synthese von beiden Haltungen ging. Das gefiel mir. Für Walter war sicherlich eine Überraschung, in einer Zeit, in der in der gute Typografie nicht mehr so wichtig genommen wurde, einem 15 Jahre jüngeren Mann zu begegnen, der die gleiche Sprache wie er sprach.

Hat Nikkels Sie auch geprägt oder hatten Sie andere Vorbilder?

Nikkels hat mich geprägt, ja. Man kann das so sagen – Wer sind die erfolgreichsten Gestalter? Das sind die, die am meisten nachgeahmt werden. Wann kann man etwas nachahmen? Wenn es um Form geht. Designer X/Y hat entdeckt, dass eine bestimmte schräge Schrift super mit einer bestimmten Art von Fotografie funktioniert. Und dann plötzlich macht jeder das – Neville Brody, David Carson, wen hat es nicht alles gegeben. Aber Haltung ist viel schwieriger zu kopieren. Das geht eigentlich gar nicht. Haltung kann man nicht nachzeichnen. Es gibt nicht viele aktuelle Beispiele, die ich Vorbilder nennen könnte.

Herr Nikkels, was schätzen Sie an Wigger?

Was ich an Wigger sehr schätze ist, dass er immer eine Grundsatzposition vertreten hat. Ich hab mir selbst immer vorgeworfen, dass ich zu beweglich in meinem Denken bin, mich auf viele Situationen einlasse. Ich hatte dagegen immer das Gefühl, dass Wigger in diesem Bereich stärker ist als ich. Er lehnte auch Aufträge ab. Das habe ich zwar auch gemacht, aber in dieser Sache war Wigger konsequenter.

Herr Bierma, Sie haben Aufträge abgelehnt?

Aufträge lehne ich nicht grundsätzlich ab. Es gab dennoch einen – Das Unternehmen Cartier in Paris hat mich für eine Buchgestaltung angefragt. Es wollte eine Ausstellung mit Paul Virilio, dem Philosophen und Gerard Depardon, einem angesagten französischen Dokumentarfotografen machen. Wir haben dann 4000 Fotos bekommen, keinen Text und die Frage – Können Sie mit diesen Fotos Bildstrecken zum Thema Weltuntergang und Nachhaltigkeit machen? Der Direktor hatte aber keine klare Vorstellung, wie es aussehen sollte. Daraufhin haben wir uns sehr viel Mühe gegeben und hart daran gearbeitet, und schließlich hat der Direktor gesagt – Nein, das ist doch nicht, was ich meine. Er hat unsere Arbeit benutzt, um überhaupt anzufangen nachzudenken. Nach zwei Wochen hab ich dann gesagt – Das mach ich nicht mehr mit. Ich will nicht wie ein Einkaufswagen durch den Supermarkt von hysterischem Verlangen geführt werden. Also hab ich den Job abgegeben.

Wie fühlten Sie sich damals?

Danach war ich eigentlich nur stolz.

Walter Nikkels, während Ihres Vortrags sagten Sie, dass Sie Ihre Aufträge aufgrund Ihres Renommees erhielten. Wie bekommt man Renommee?

Ich kann nach Ehre und Gewissen sagen, dass ich es nicht genau weiß. Es hört sich unglaublich blöd an, aber man muss ein ziemlicher Fanatiker sein. Ich hab nie gesagt – Entschuldigung, ich muss nach Hause, meine Frau wartet mit dem Abendessen. Ich hab mich immer voll auf meine Arbeit eingelassen.
WB – Immer einsatzbereit.
WN – Nein, das ist wiederum ganz falsch. Es geht darum, die Romantik des Schaffensprozesses mitzutragen und Begeisterung zu zeigen.
WB – Das meine ich auch.
WN – Also, wenn wir bis drei Uhr nachts über Kunst diskutiert haben, war ich immer dabei. Aus Leidenschaft. Ich wollte dabei sein, nicht in erster Linie Geld verdienen. Ich wollte am Diskurs unserer Zeit teilnehmen.

Zurück zu meiner Frage, wie man Renommee bekommt …

WB – Die Frage müsste eigentlich so lauten – Wie kann man sich so verhalten, dass man die richtige Person, zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist. Das ist meiner Meinung nach die Formel für Erfolg.

Ein anderes Thema – Herr Bierma, wie sind Sie dazu gekommen den Studiengang »Werkplaats Typografie« zu gründen?

Aus Unzufriedenheit mit den anderen Schulen. Irgendwo fehlte etwas, die Lehre war zu oberflächlich. Wichtig war, dass es nicht beliebig ist. Das geschieht zum Beispiel, wenn man »Real Commissions« einführt, mit realen Kunden, einem Budget und Deadlines. Und vor allem mit einer Aufgabe – Das Projekt darf nicht scheitern. Dadurch entsteht plötzlich eine Art Energie und ein ganz anderes Arbeitsklima.

Arbeiten Sie so auch an der HfbK?

Mit meiner Klasse arbeite ich etwas anders. Da ist die eigene Arbeit Ausgangspunkt, aus der dann wieder etwas Neues entstehen kann. Wenn ein Student nicht weiß, was er tun soll, dauert es manchmal ein paar Monate – bis sich eine gewisse Nervosität einstellt. Dadurch entsteht dann auch wieder eine Art von Energie. Ich möchte, dass meine Studenten Eigenverantwortung lernen, das ist letztendlich das Wichtigste.

Herzlichen Dank für das Gespräch

Das Interview wurde am 12. Juni 2012 geführt.