Auch Merkel findet Grenzkontrollen jetzt richtig

Die deutsche Bundeskanzlerin verweist auf den mangelhaften Schutz der europäischen Aussengrenze. Früher hat sie solche Massnahmen als sinnlos dargestellt.

Marc Felix Serrao, Berlin
Drucken

Was sind Grenzkontrollen, und wie wirksam können sie illegale Einreisen unterbinden? Über diese Fragen wird in Deutschland erneut gestritten. Allerdings besteht der Dissens nicht mehr zwischen Angela Merkel und Horst Seehofer, sondern zwischen der Regierung und Vertretern der zuständigen Behörden. Er wehre sich gegen den Versuch, «mit dem Begriff Grenzkontrollen der Bevölkerung zu suggerieren, wir könnten Vollkontrollen durchführen», sagte der Vizechef der Gewerkschaft der Polizei, Jörg Radek, am Dienstag dem Bayrischen Rundfunk. Letzteres sei rechtlich unmöglich und personell nicht zu stemmen.

Merkel unterstützt die Forderung von Seehofer, dass die Verlängerung von Kontrollen an der deutschen Grenze wegen des mangelhaften Schutzes der europäischen Aussengrenzen notwendig seien. (Bild: Clemens Bilan / EPA)

Merkel unterstützt die Forderung von Seehofer, dass die Verlängerung von Kontrollen an der deutschen Grenze wegen des mangelhaften Schutzes der europäischen Aussengrenzen notwendig seien. (Bild: Clemens Bilan / EPA)

Tags zuvor hatte Regierungssprecher Steffen Seibert erklärt, dass Kanzlerin Merkel die Forderung ihres Innenministers Seehofer nach einer Verlängerung von Kontrollen an der deutschen Grenze unterstütze. Beide seien sich einig, dass die Massnahmen wegen des mangelhaften Schutzes der europäischen Aussengrenzen notwendig seien. Für Merkel ist das eine diskrete und doch bemerkenswerte Kurskorrektur. 2015, als das Meinungsbild im Land ein anderes und die AfD eine aufstrebende Kleinpartei war, hatte sie solche Massnahmen de facto noch für sinnlos erklärt. «Wir können die Grenzen nicht schliessen», sagte sie damals. «Wenn man einen Zaun baut, werden sich die Menschen andere Wege suchen.» Die Frage ist, ob das, was derzeit stattfindet, mehr ist als Symbolpolitik.

Derzeit konzentrieren sich Deutschlands Polizisten auf die Grenze zu Österreich. Die Beamten überprüfen Fahrzeuge an drei Autobahnen sowie an wechselnden Orten im Hinterland. Da Personenkontrollen an Europas Binnengrenzen durch die Schengener Abkommen eigentlich Geschichte sein sollen, müssen die Massnahmen begründet und jeweils für sechs Monate angemeldet werden. Die Bundesrepublik hat das letztmals wieder im vergangenen Herbst getan. Weitere Schengenländer, die ihre Grenzen wegen des Einwanderungsdrucks kontrollieren, sind Österreich, Frankreich, Dänemark, Schweden sowie das nicht zur EU gehörende Norwegen.

Der Grossteil der Grenze ist unbewacht

Wie irreführend die Begriffe «Grenze» und «Kontrolle» in diesem Kontext sind, zeigt der Kommentar des Polizeivertreters Radek. Von den etwa 3800 Kilometern deutscher Grenze gebe es nur auf 840 Kilometern ernsthafte Kontrollen. Das ist weniger als ein Viertel der Strecke. Und es sei dennoch zu viel Arbeit, zumindest für Bayerns Polizei. Laut Radek müssen täglich mehr als 300 Beamte aus dem restlichen Bundesgebiet aushelfen. Wer mit Vertretern anderer Bundesländer spricht, hört entsprechende Kritik. Nordrhein-Westfalen zum Beispiel hat eine fast 500 Kilometer lange Landesgrenze zu den Niederlanden und zu Belgien. Um die zu sichern, stünden wegen der Massnahmen in Bayern derzeit viel zu wenig Beamte bereit, hört man aus der Landesregierung in Düsseldorf.

Dass die Schleuser längst dorthin ausweichen, wo es weniger Polizei gibt, zeigen einzelne, mitunter spektakuläre Ermittlungserfolge. Im vergangenen Herbst etwa stoppten Beamte hinter der polnischen Grenze in Brandenburg einen Lastwagen mit 51 Personen auf der Ladefläche, angeblich alles Iraker.

Solche Zugriffe sind die Ausnahme, nicht die Regel. Das zeigen die Zahlen. Laut deutschem Innenministerium hat die Polizei 2017 nahe der österreichischen Grenze etwa 16 000 unerlaubt Einreisende aufgegriffen. 7000 seien zurückgewiesen worden. Im selben Zeitraum wurden in Deutschland knapp eine Viertelmillion Asylanträge gestellt, der Grossteil von zuvor illegal Eingereisten.